Kapitel 10 Die Interaktion von Angebots- und Nachfrageseite: Nachfrageschocks, Angebotsschocks und Inflation

10.1 Gütermarkt- und Verteilungsgleichgewicht

Wir können nun die in Teil II entwickelte Nachfrageseite mit der in Teil III präsentierten Angebotsseite unseres Grundmodells verbinden und Interaktionen zwischen Nachfrage- und Angebotsseite analysieren. Wir gehen hierbei von einer gegebenen inflationsstabilen Beschäftigung bzw. NAIRU aus, die durch die gegebenen institutionellen Faktoren und die Normen des Arbeits- und des Gütermarktes bestimmt wird, wie wir in Kapitel 9 hergeleitet haben. Auch die Koordinierung von Lohnverhandlungen als eine Möglichkeit, \(L^N\) zu erhöhen und die NAIRU zu reduzieren, lassen wir zunächst außen vor. Wirtschaftspolitische Interventionen zur Stabilisierung werden zunächst ebenfalls nicht berücksichtigt, da wir zuerst verstehen wollen, zu welchen gesamtwirtschaftlichen Ergebnissen die Interaktion der Marktprozesse auf dem Arbeits- und Gütermarkt in unserem Modell führt.

In der Abbildung 10.1 findet sich auf der linken Seite die Nachfrageseite des Gesamtmodells und auf der rechten Seite die Angebotsseite des Gesamtmodells. Bei der folgenden Beschreibung bewegen wir uns im Uhrzeigersinn durch die Quadranten der Abbildung 10.1:

  • Wir beginnen unten mit der \(IS\)-Kurve im unteren Quadranten auf der linken Seite. Bei einem gegebenen exogenen Zinssatz ist das BIP im Gütermarktgleichgewicht bestimmt.
  • Im oberen Quadranten der linken Seite wird der gleiche Sachverhalt für das Einkommen-Ausgaben-Modell gezeigt: Im Schnittpunkt der Gesamtnachfragekurve mit der 45-Grad-Linie befindet sich der Gütermarkt im Gleichgewicht.
  • Da sich im Gleichgewicht das Güterangebot an die Güternachfrage angepasst hat, ermöglicht die Produktionsfunktion im oberen Quadranten auf der rechten Seite das zum Gütermarktgleichgewicht gehörende Beschäftigungsniveau zu bestimmen.
  • Wir haben die Werte hier so gewählt, dass Beschäftigungsniveau des Gütermarktgleichgewichts, \(L^*\), mit dem Beschäftigungsniveau des Verteilungsgleichgewichts, \(L^N\), übereinstimmt, welches im mittleren Quadranten auf der rechten Seite durch den Schnittpunkt der \(WS\)- mit der \(PS\)-Kurve bestimmt wird. In diesem Quadrant werden die Zielreallohnsätze von abhängig Beschäftigten und Unternehmen in den \(WS\)- und \(PS\)-Kurven dargestellt. Der Schnittpunkt dieser beiden Kurven bestimmt das Beschäftigungsniveau des Verteilungsgleichgewichts.
  • Im unteren Quadranten auf der rechten Seite sehen wir die kurzfristige Phillipskurve, die sich aus dem \(WS-PS\)-Quadranten in der Mitte ergibt. Hier können wir nun ablesen, welche Inflationsrate sich in Abhängigkeit vom Beschäftigungsniveau ergibt, welches auf dem Gütermarkt bestimmt wird.

Abbildung 10.1: Nachfrage und Angebotsseite des Gesamtmodells.

Wir können diese Darstellung nun auch dazu nutzen, um die Effekte einer Veränderung des Gütermarktgleichgewichts zu analysieren. In Abbildung 10.2 kommt es bei einem gegebene Zinssatz zu einem positiven Nachfrageschock, d.h. zu einer Rechtsverschiebung der \(IS\)-Kurve im unteren Quadranten auf der linken Seite bzw. zu einer Verschiebung der Gesamtnachfragekurve im oberen Quadranten auf derselben Seite. Ein höheres BIP im Gütermarktgleichgewicht ist nun mit einer höheren Beschäftigung verbunden, wie die Produktionsfunktion im oberen Quadranten auf rechten Seite der Abbildung 10.2 verdeutlicht. Eine höhere Beschäftigung führt nun jedoch dazu, dass das Reallohnziel der abhängig Beschäftigten über dem der Unternehmen liegt, wie der mittlere Quadarant auf der rechten Seite darstellt. Dies führt nun dazu, dass die Inflationsrate entsprechend der Phillipskurve im unteren Quadranten auf der rechten Seite gegenüber der Ausgangssitutation ansteigt. Steigende (oder fallende) Inflation sind daher ein Ausdruck davon, dass das vom Gütermarktgleichgewicht bestimmte Beschäftigungsniveau von dem Beschäftigungsniveau des Verteilungsgleichgewichts abweicht. Liegt eine solche Abweichung vor, so ist der Prozess mit einer höheren (geringeren) Inflationsrate jedoch nicht zu Ende, wie wir im nächsten Abschnitt darstellen werden.

Abbildung 10.2: Nachfrage und Angebotsseite des Gesamtmodells nach einem positiven Nachfrageschock.

10.2 Nachfrageschocks und Lohn-Preis-Spiralen

In dem vorangegangenen Abschnitt haben wir die grundlegenden Mechanismen kennen gelernt, durch die eine Veränderung der Nachfrage und der Beschäftigung zu einer Veränderung der Inflationsrate führen. Hier befassen wir uns nun damit, was passiert, wenn die Beschäftigung des Gütermarktgleichgewichts von der des Verteilungsgleichgewichts abweicht, die Inflationsrate sich dadurch verändert und es nicht zu unmittelbaren Eingriffen der Wirtschaftspolitik kommt.

Gehen wir wieder von einem positiven Nachfrageschock aus. Der Nachfrageanstieg führt zu einer Ausweitung der Produktion, und die Unternehmen stellen mehr Arbeitskräfte ein. Die erhöhte Beschäftigung erhöht die Verhandlungsmacht der abhängig Beschäftigten und sie können in der laufenden Lohnrunde einen höheren Nominallohnanstieg durchsetzen. Die Unternehmen reagieren ihrerseits mit einer Erhöhung der Inflationsrate und setzen damit ihre Reallohn- (oder Stückgewinn-) Erwartungen durch. Der positive Nachfrageschock führt also zu einer höheren Inflationsrate - bis zu diesem Punkt ist der Prozess also identisch mit dem im vorherigen Abschnitt beschriebenen Prozess. Doch was geschieht nun? Hierbei unterstellen wir im folgenden, dass der Realzins sich durch den Anstieg der Inflation nicht verändert, der Nominalzins daher unmittelbar entsprechend des Anstiegs der Inflationsrate angepasst wird.

Wir haben weiterhin auf dem Gütermarkt und auf dem Arbeitsmarkt eine Situation, in der die Beschäftigung über dem Niveau des Verteilungsgleichgewichts liegt. Obwohl die abhängig Beschäftigten ihre Reallohnforderungen nicht durchsetzen konnten, weil die Unternehmen mit den Preiserhöhungen gegengesteuert haben, ist die Verhandlungsmacht der abhängig Beschäftigten immer noch auf demselben Niveau. Sie werden also wieder versuchen, den Reallohn durch entsprechende Nominallohnerhöhungen auf das gewünschte Niveau anzuheben. Aber wie stark muss der Nominallohn in der aktuellen Runde aus Sicht der abhängig Beschäftigten steigen, um das gewünschte Reallohnniveau zu erreichen?

Wie wir bei der Herleitung der Phillipskurve gesehen haben, hängt dies unter anderem von der erwarteten Inflationsrate ab, welche die abhängig Beschäftigten ihren Nominallohnforderungen zugrunde legen. Da die abhängig Beschäftigten in der letzten Periode aber bereits einen Anstieg der Inflationsrate beobachtet haben, werden sie ihre Inflationserwartungen in der aktuellen Verhandlungsrunde entsprechend anpassen (adaptieren). In unserem einfachen Modell der Erwartungsbildung (adaptive Erwartungen) werden sie annehmen, dass die Inflation in der aktuellen Periode genau den Wert der Vorperiode annimmt (\(\pi^e = \pi_{-1}\)). Die abhängig Beschäftigten unterstellen für ihre Nominallohnforderungen somit ein höheres Inflationsniveau als noch in der ersten Lohnrunde, was dazu führt, dass der Nominallohn mit einer höheren Rate steigt als zuvor. Erneut werden die Unternehmen jetzt genauso reagieren wie in der ersten Runde und die Preise entsprechend der nun höheren Wachstumrate der Nominallöhne anheben.

Die Inflationsrate steigt erneut an, obwohl wir keinen weiteren Nachfrageschock beobachtet haben. Statt einer Veränderung der Nachfrage bzw. der Beschäftigung liegt dem erneuten Inflationsschub nun ausschließlich ein Anstieg der Inflationserwartungen und der weiterhin ungelöste Verteilungskonflikt zu Grunde. In der ersten Runde hatten wir uns wegen des Anstiegs der Beschäftigung noch entlang der kurzfristigen Phillipskurve bewegt: in der aktuellen Runde führt der Anstieg der Inflationserwartungen stattdessen zu einer Verschiebung der kurzfristigen Phillipskurve nach oben.36 Es wird nun auch deutlich, warum wir diese Phillipskurven als kurzfristige Phillipskurven bezeichnet haben. Jede Kurve gilt nur für bestimmte Inflationserwartungen. Da sich die Inflationserwartungen außerhalb des Verteilungsgleichgewichts von Periode zu Periode ändern, verschieben sich die kurzfristigen Phillipskurven. Die Beschäftigung bleibt dabei konstant. Die Abbildung 10.3 stellt diese, durch die Anpassung der Inflationserwartungen hervorgerufene, Verschiebung der Phillipskurve in der zweiten Runde nach dem Nachfrageanstieg dar.37

Abbildung 10.3: Nachfrageschock und Inflationsrate.

Der Abstand zwischen der alten und der neuen kurzfristigen Phillipskurve ist dabei durch die Veränderung der Inflationserwartungen gegeben (in unserem Beispiel ist diese identisch mit der Veränderung der Inflation selbst). Da sich an der guten Beschäftigungssituation auf dem Arbeitsmarkt nach wie vor nichts geändert hat, wird der erneute Inflationsschub zu einem weiteren Anstieg der Inflationserwartungen in der nächsten Runde führen. Die Phillipskurve würde sich dementsprechend erneut nach oben verschieben, und dieser Prozess würde sich in jeder zukünftigen Runde wiederholen. Die Phillipskurve würde sich immer weiter nach oben verschieben und die Inflationsrate würde immer stärker ansteigen. Wir sprechen deswegen auch von akzelerierender Inflation. Abbildung 10.4 zeigt solch einen Prozess über mehrere Runden.

Abbildung 10.4: Positiver Nachfrageschock und steigende Inflation.

Ohne eine Veränderung des oben beschriebenen Verhaltens kann ein initialer expansiver Nachfrageschock so zu einem wiederholten Anstieg der Inflationsrate führen. Die zentrale Ursache ist hierbei der ungelöste Verteilungskonflikt zwischen Löhnen und Profiten. Da dieser Konflikt über die Nominallöhne und die Preise ausgetragen wird, sprechen wir bei diesem Phänomen auch von einer Lohn-Preis-Spirale. Wie wir sehen werden, kann dieser Prozess durch ein Zurückfahren der Nachfrage auf dem Gütermarkt und der Beschäftigung auf dem Arbeitsmarkt auf ihr ursprüngliches Niveau beendet werden.

Nehmen wir zum Beispiel an, dass die Nachfrage nach einiger Zeit (z.B. in der zweiten Runde) wieder auf ihr ursprüngliches Niveau zurückfällt — wir sprechen dann von einem temporären Nachfrageschock — so dass sich wieder ein Verteilungsgleichgewicht einstellt. Die Beschäftigung fällt somit wieder auf ihr inflationsstabilisierendes Niveau, welches nach wie vor durch den Schnittpunkt der Lohnsetzungs- und der Preissetzungskurve gegeben ist. Abbildung 10.5 zeigt diese Situation im \(WS-PS\)- und Phillipskurvendiagramm.

Abbildung 10.5: Temporärer Nachfrageschock und Inflationsrate.

Im \(WS-PS\)-Diagramm befindet sich die Beschäftigung in der zweiten Runde nach dem temporären Schock wieder im Verteilungsgleichgewicht. Da somit kein Konflikt mehr zwischen den Reallohnvorstellungen der Unternehmen und der Gewerkschaften bzw. abhängig Beschäftigten besteht, stabilisieren sich die Veränderungsrate der Nominallöhne und die Inflationsrate auf einem konstanten Niveau. Da sich die Inflationserwartungen der abhängig Beschäftigten jedoch nach oben verschoben haben — in der Abbildung sichtbar an der Verschiebung der kurzfristigen Phillipskurve — ist das Inflationsniveau deutlich höher als in der Ausgangssituation.

Bei einem negativen Nachfrageschock, also einem Rückgang der Nachfrage, der beispielsweise durch steigende Zinssätze oder eine Verschlechterung der Absatzerwartungen der Unternehmen ausgelöst werden kann, wirken die oben beschriebenen Mechanismen in umgekehrter Weise. Der Nachfrageausfall führt zu einem Absinken der Beschäftigung und somit zu einer verschlechterten Verhandlungsposition der abhängig Beschäftigten. Die abhängig Beschäftigten sind nun bereit einen geringeren Reallohn hinzunehmen und fahren ihre Nominallohnforderungen dementsprechend zurück. Der Rückgang des Lohnstückkostenwachstums und die Konkurrenz der Unternehmen untereinander veranlassen die Unternehmen dazu, die Teuerungsrate ihrer Produkte an die gesunkene Nominallohninflation anzupassen. Die Unternehmen senken also die Inflationsrate, so dass sich wieder der von ihnen als optimal kalkulierte Zielreallohn einstellt. Der Fall der Inflationsrate — wir sprechen auch von Disinflation — führt nun auch zu einer Anpassung der Inflationserwartungen der abhängig Beschäftigten. Es ergibt sich also erneut eine Verschiebung der Phillipskurve, dieses Mal allerdings nach unten. In der Abbildung 10.6 verschiebt sich die Phillipskurve dementsprechend sukzessive nach unten und die Inflationsrate fällt von Runde zu Runde. In unserem dargestellten Zahlenbeispiel rutscht die Inflationsrate in der sechsten Runde schließlich in den negativen Bereich. Die Disinflation geht in Deflation über.

Abbildung 10.6: Negativer Nachfrageschock: Disinflation und Gefahr der Deflation.

Wenn das durchschnittliche Preisniveau fällt, sprechen wir von einer Deflation. Die Inflationsrate befindet sich dann im negativen Bereich. Eine Deflation ist im Vergleich zur Inflation ein eher seltenes Phänomen (zumindest ab dem 20 Jh.), jedoch kann eine Deflation die Wirtschaftspolitik vor große Herausforderung stellen. Eine Deflation tritt häufig im Zusammenhang mit tiefen Wirtschaftskrisen auf und sie kann über Realschuldeneffekte und durch die Verschiebung von Ausgabenentscheidungen krisenverschärfend wirken. Eine Krise, die mit Deflation einhergeht, stellt damit hohe Anforderungen an die Wirtschaftspolitik, wie weiter unten erläutert wird.

In der folgenden interaktiven Anwendung können Lohn-Preis-Spiralen durch einen positiven oder negativen Nachfrageschock ausgelöst werden.

10.3 Angebotsschocks

Neben den oben besprochenen Nachfrageschocks kann unsere Ökonomie auch einem Angebotsschock ausgesetzt sein. Ein Angebotsschock kann dabei verschiedene Ursachen haben. Während ein Nachfrageschock in unserem Modell über die \(IS\)-Kurve bzw. die gesamtwirtschaftlichen Einkommen und Ausgaben wirkt, kann ein Angebotsschock entweder über die Produktionsfunktion oder über den Arbeitsmarkt im Lohnsetzungs-Preissetzungs-Diagramm wirken. In unserem Modell gibt es bei kurzfristig konstanter Produktionstechnologie und damit konstanter Arbeitsproduktivität grundsätzlich zwei verschiedene Arten von Angebotsschocks:

  1. Ein Arbeitsmarktschock führt zu einer Lageveränderung der \(WS\)-Kurve, d.h. der Zielreallohnkurve der abhängig Beschäftigten. Dies kann entweder durch eine Veränderung von \(\mathbf{b}\) (z.B. eine Senkung durch eine Kürzung der Sozialleistungen) oder durch eine Veränderung der Konfliktorientierung, \(k\), der abhängig Beschäftigten (z.B. eine Reduktion durch eine gesetzliche Schwächung von Gewerkschaften) hervorgerufen werden.
  2. Ein Preissetzungsschock, der zu einer Verschiebung der \(PS\)-Kurve, d.h. der Zielreallohnsatzkurve der Unternehmen führt. Diese wird durch eine Veränderung des Mark-ups verursacht, z.B. eine Senkung durch eine Erhöhung der Wettbewerbsintensität auf dem Gütermarkt.38

Beginnen wir zunächst mit einer Verschiebung der Lohnsetzungskurve durch eine Kürzung der Sozialleistungen. Der minimal geforderte Reallohn der abhängig Beschäftigten, \(\mathbf{b}\), fällt und die Lohnsetzungskurve verschiebt sich dadurch nach unten, wie in Abbildung 10.7 dargestellt wird:

Abbildung 10.7: Positiver Angebotsschock.

Durch die Abwärtsbewegung der Lohnsetzungskurve verschiebt sich das Verteilungsgleichgewicht in Abbildung 10.7 nach rechts. Die inflationsstabilisierende Beschäftigung, \(L^N\), ist jetzt also höher als zuvor und liegt nun über der tatsächlichen Beschäftigung, \(L^*\), die durch den Gütermarkt bestimmt wurde. Die entstandene Lücke zwischen Lohnsetzungskurve und Preissetzungskurve löst nun einen Disinflationsprozess aus. Beim aktuellen Niveau der Beschäftigung liegt der Zielreallohnsatz der abhängig Beschäftigten nun unter dem Zielreallohnsatz der Unternehmen. Der damit einhergehende Rückgang des Nominallohnwachstums wird daher von den Unternehmen an die Preise weitergegeben. Die Inflationsrate fällt also, wobei wir im Unterschied zu einem Nachfrageschock hier keine Bewegung entlang der Phillipskurve, sondern eine Verschiebung der Phillipskurve nach unten, von \(PC_0\) zu \(PC_1\) beobachten, welche bereits in der ersten Runde stattfindet. Der Rückgang der Inflationsrate verändert in der nächsten Runde nun auch wieder die Inflationserwartungen der abhängig Beschäftigten und der weitere Ablauf ähnelt dabei dem Prozess der durch einen negativen Nachfrageschock verursacht wird. Die Phillipskurve verschiebt sich aufgrund sinkender Inflationserwartungen immer weiter nach unten und es droht ein Prozess immer stärker abfallender Inflation. Ohne Intervention droht auch hier eine Disinflationsspirale, die im Extremfall in eine Deflation führen kann.

Obwohl der Angebotsschock ohne ein Gegensteuern der Politik also negative Auswirkungen auf die Ökonomie hat, sprechen wir hier in der Regel von einem positiven Angebotsschock. Das Positive an diesem Schock besteht in seiner Wirkung auf das Verteilungsgleichgewicht und damit auf die inflationsstabilisierende Beschäftigung, \(L^N\). Stabile Inflationsraten können jetzt nämlich bei einem höheren Beschäftigungsniveau, bzw. einer niedrigeren Arbeitslosenquote, erreicht werden. Ein positiver Angebotsschock erhöht also die inflationsstabile Beschäftigung und damit die potentiell mögliche Produktion und Beschäftigung. Es gibt jedoch keine Garantie, dass die Ökonomie dieses höhere mögliche Beschäftigungsniveau tatsächlich erreicht. Ohne wirtschaftspolitische Intervention führt der positive Angebotsschock eher zu Disinflation und Deflation, mit dann ggf. negativen Rückwirkungen auf die effektive Nachfrage auf dem Gütermarkt und die Beschäftigung.

Doch ist eine Kürzung der Sozialleistungen wirklich ein reiner Angebotsschock? Eine Kürzung der Sozialleistungen wird häufig (so wie oben) als reiner Angebotsschock dargestellt. Allerdings ist diese Darstellung zu einem gewissen Grade irreführend, weil dabei ein möglicher Effekt auf die Nachfrage ausgeblendet wird. Da es sich bei Soziallleistungen aber zu großen Teilen um verfügbares Einkommen der (ärmsten) Haushalte handelt, werden deren Konsumausgaben durch die Kürzungen zurückgefahren. Gleiches würde z.B. für eine Kürzung des Mindestlohns gelten, welcher ebenfalls die Lohnsetzungskurve nach unten verschieben würde. Der dadurch entstehende Nachfrageausfall führt in der direkten Folge zu einer erhöhten Arbeitslosigkeit und verstärkt den durch die Verschiebung der Lohnsetzungskurve ausgelösten Disinflationsschub noch.

Die Ökonomie kann natürlich auch einem negativen Angebotsschock ausgesetzt sein. Ein negativer Angebotsschock liegt zum Beispiel vor, wenn die Lohnsetzungskurve sich nach oben verschiebt. Gründe hierfür können zum Beispiel eine Erhöhung der Sozialleistungen oder des Mindestlohns sein. Daneben gibt es jedoch noch weitere Faktoren welche den minimal geforderten Reallohn beeinflussen (zum Beispiel andere institutionelle Faktoren oder soziale Normen und Wertvorstellungen). Ein negativer Angebotsschock verschiebt das Verteilungsgleichgewicht nach links; die inflationsstabilisierende Beschäftigung ist jetzt niedriger als zuvor. Die abhängig Beschäftigten fordern bei der aktuellen Beschäftigung einen höheren Reallohn und die damit verbundenen höheren Nominallohnsteigerungen führen zu einem Prozess immer stärker ansteigender Inflation, weitestgehend analog zu einem positiven Nachfrageschock.

Abbildung 10.8: Negativer Angebotsschock: z.B. Erhöhung von Sozialleistungen.

Ein Preissetzungsschock kann hingegen durch eine Veränderung des Mark-ups, \(m\), der Unternehmen erfolgen. Auslöser hierfür kann zum Beispiel eine Erhöhung des Wettbewerbs im Gütermarkt sein, z.B. durch eine Öffnung der Märkte für zusätzliche Konkurrenten. Dies führt zu einer Verschiebung der Preissetzungskurve nach oben; der Zielreallohnsatz der Unternehmen steigt, wie Abbildung 10.9 zeigt. Hierdurch erhöht sich die inflationsstabile Beschäftigung, und die NAIRU geht zurück. Die tatsächliche Beschäftigung liegt nun unterhalb der inflationsstabilen, Nominallohnwachstum und Inflationsrate nehmen ab. Die kurzfristige Phillipskurve verschiebt sich nach unten und es setzt ein Disinflationsprozess ein, der wieder in Deflation münden kann. In der folgenden Abbildung wird eine Verschiebung der Preissetzungskurve durch einen Mark-up-Schock illustriert.

Abbildung 10.9: Positiver Preissetzungsschock.

Bisher sind wir hier davon ausgegangen, dass der Nominalzins sich automatisch an die vorherrschende Inflation anpasst, sodass der Realzins konstant bleibt. Wenn wir diese Annahme jedoch aufgeben und stattdessen annehmen, dass der Nominalzins konstant bleibt, würde dies bei Veränderung der Inflation auch zu einer Veränderung des Realzins führen. Dies hätte wiederum einen Effekt auf die Investitionsnachfrage. Bei einem konstanten Nominalzins würde der Anstieg (Fall) der Inflationsrate durch einen positiven (negativen) Nachfrageschock den Realzins senken (erhöhen). Der positive (negative) Effekt auf die Nachfrage würde das Gütermarktgleichgewicht dann weiter vom Verteilungsgleichgewicht entfernen. Mit der interaktiven Anwendung unten können die oben beschriebenen Schocks von Angebot und Nachfrage simuliert werden, wobei wir hier eben jene Annahme eines konstanten Nominalzinses unterstellen.

Weiterführende Literatur zu Kapitel 10

Lehrbücher:

References

Carlin, W. und D. W. Soskice. 2015. Macroeconomics: Institutions, Instability, and the Financial System. Oxford University Press.

  1. Wir zeigen die Phillipskurve in der Ausgangssituation und die Phillipskurve in Runde 1 einander überlappend. Tatsächlich wäre dies die gleiche Kurve in zwei nachfolgenden Runden, da sich die Inflationserwartungen noch nicht verändert haben.↩︎

  2. In der Abbildungen der Phillipskurve wird die Kurve der aktuellen Runde in blau dargestellt. Die Phillipskurve in der Ausgangssituation und die Phillipskurve der vorherigen Runden erscheinen in schwarz.↩︎

  3. Auch ein Rohstoffpreisschock, z.B. ein Ölpreisschock, könnte über einen Mark-up-Schock illustriert werden, da der Mark-up in unserem Modell alle Produktionskosten decken muss, die nicht zu den variable Lohnkosten gehören.↩︎